Praktikant im Katastrophen-Zentrum

09 September 2008

Neue Rubrik: Die 5-Minuten-Langeweile-EDV-Terrine

Gesetzt den Fall man hat als EDV-Mitarbeiter-Praktikant eines
Tages für fünf Minuten Zeit für sich selbst, eine Schachtel
gefüllt mit gebrauchtem EDV-Zubehör und ein Gefühl der
Unbeobachtetheit, entgasen einem schon interessante Ideen
aus den Gehirnwindungen welche sich dann an den Brillen-
gläsern oder dem nächstbesten Bildschirm niederschlagen.

Zum Beispiel:

Ein sich selbst kühlendes Netzteil, oder: Netzteilkühlernetzteil.


03 September 2008

Finagles' Erbe - Teil Drei

Freitag. Das Gewitter hatte den ganzen Donnerstag hindurch
sein wildes Wesen ausgetobt. Müden Blickes rief ich meinen
Atomfunkuhrwecker mit einem saftigen Klaps zur Ruhe und
kroch aus dem Nachtvehikel gen Bad. Ich tappste am GEZ-
verseuchten Radio vorbei, schaltete es ein und lauschte den
inkrementalen Klängen von sonstwem. „Alles klingt gleich,
alles folgt dem Rhythmus, bloß keine Mißklänge riskieren ...“
las ich in meiner eigenen Denkblase, schob diesen obszönen
Gedanken beiseite, malte ihn rot an und gab ihn meinem linken
Kater (welcher später in die Tierklinik eingeliefert werden
musste) zum Frühstück.

Fit wie ein zehn Jahre alter ungeplegter Turnschuh verließ ich
das Haus, öffnete die Garage, stieg in meinen Peugeot 106
(Bj 1996, 50 PS, Kid Edition, weiß, Jeansbezug, keine KA, kein
ABS, kein ESP, kein DZM, keine ZV, keine AA, kein etc., Motor
g.ü.h, Hinterachse kmpl. neu, TÜV/AU 2010, Hosenrohr neu, 5000
Euro VB), um festzustellen, daß mein sonst zuverlässiges Vehikel
keinen Mucks von sich gab, als ich versuchte dessen Motor zu
starten.

Toll. Meiner übertrieben investigativen Natur über Motorraum,
Unterboden und Kofferraum folgend fand ich schließlich 23 (!)
Minuten später das eigentlich nicht defekte Teil welches meinem
„Schneelöwen“ die Energie geraubt hatte. Die Innenraumbeleuch-
tung. Hätte ich es nicht bereits gewusst, würde ich innerhalb
von weiteren 23 Minuten in Erfahrung gebracht haben welche
Demenz den vorherigen Benutzer geritten haben musste, um das
Licht, welches den blau-weißen Innenraum bei geöffneter Tür in
zartes hell-oranges Licht taucht, gesetzt den Falls die Auto-
batterie ist ausreichend geladen, anzulassen.

Wer sein Auto liebt, der ruft den ADAC – wenn man Zeit hat. Ich
indes schob es auf die geologisch scheinbar in einer Abart von
Gudermannfunktion gestalteten Straße, wobei eine schiefe Ebene
genauso ausgereicht hätte, um den Wagen anrollen zu lassen.

Um von meiner Höhle zum Katastrophen-Zentrum zu gelangen
muss man:
- Durch die Tür
- Die Treppe zwei Stockwerke nach unten
- Durch die Haustür
- Aus der Ausfahrt rechts die Straße hoch
- Links rum aus dem Ort und an der Kreuzung rechts
- Links abbiegen auf die Bundesstraße
- Gleich wieder links auf die Autobahn
- Nach ca. 40 km die Autobahn verlassen
- Immer geradeaus und schließlich rechts halten
- Dann links abbiegen und immer geradeaus
- Die zweite Ausfahrt raus und links abbiegen
- Immer geradeaus dann links
- Immer geradeaus, der Hauptstraße folgen
- Parkplatz suchen

Nach ca. 13 km Autobahnfahrt verlängerte ein Stau die Reisedauer
um exakt 32 Minuten. Danach um weitere 23 Minuten, weil ein
Kleinlaster seine Ladung über den Autobahnzubringer ergossen
hatte (Wattestäbchen, schön weich, aber schwer aus dem Kühler-
grill, falls der Wagen einen sein eigen nennt, zu entfernen).
Dann noch ein paar rote Ampeln, die sichtlich verzweifelt ver-
suchten ihre Farbe zu halten (Schwitzwasser hinterm Glas, mit
Regenbogen-Effekt). Zu guter Letzt war kein Parkplatz verfügbar,
also hing ich meinen Boliden kurzum, leicht wie er ist, an einen
Fahnenmast.

Im Administratoren-Büro angekommen schaltete ich meinen
Rechner an usw. Kurzum: Ich vervollständigte meine zukunfts-
trächtige Projektarbeit, druckte sie auf ... nein ich stanzte
sie in 500g Karton, versiegelte sie in mehreren Güssen aus
Epoxitharz und polierte alle Oberflächen mit einem in einen
Schwingschleifer eingespannten Schleifpapier der Körnung
10 000 000 000 000 in fünf Minuten auf Höchstglanz.

Ich packte das Pamphlet auf eine Euro-Palette, enthisste meinen
Peugeot und lud meine Utensilien ein. Seine Hinterachse
knarzte ein bisschen weil Herr Kowalski den Gabelstapler an
Stellen geschmiert hatte, von denen jeder Ölscheich nur trOYmen
(Wir bleiben TROY! (omg)) könnte und die Palette sich mit
Schwung auf dem Dach meines Wagens entblößte. Und um über-
flüssigerweise fast gänzlich in die Welt der Obszönität abzu-
GLEITEN: Man könnte meinen der Autor hätte ein Faible für
Euro-Paletten. Ajo, steif, aus Holz und zusammengenagelt.
Warum? 42 mit Gulasch von der Baustelle*.

Das Pamphlet war auf dem Weg zum Korrekturlesen durch den
EDV-Leiter und Richter (im Folgenden EDVL+R geNANNt). Der
Termin war für 11:00 Uhr angesetzt, welchen ich auch einhalten
konnte, allerdings nicht ohne Hindernisse. Auf dem Weg schal-
teten sämtliche Ampeln auf Rot sobald ich mich ihnen näherte,
und zwar ohne vorher Gelb aufleuchten zu lassen. Ein LKW hatte
Ladung verloren, ein Unfall, ein Gefühl des Beobachtetwerdens
stieg mit schwefeligem Beigeschmack meinen Rücken hoch (wie
leckt man sich am Rücken?). Ich glaubte auf jenen Ampeln
schemenhafte Gestalten sitzen zu sehen (in der Filmsprache
auch bekannt als: „So ähnlich wie ein getarnter Predator, mit
roten Augen und so ne?). Am Ziel angelangt fand ich selbst-
verständlich keinen Parkplatz, also fliegendes Ausladen. Ich
klingelte. Nichts. Ich klingelte nochmals. Nichts. Da das Fenster
des EDVL+R nur einen Steinwurf entfernt war, warf ich kurzerhand
einen Stein an sein Fenster. Schließlich stand ich kurz vor 11:00
mit der Euro-Palette unter meinem Arm im Büro des EDVL+R. Er
kam auf mich zu, schaute auf seine Uhr und sprach nur ver-
wundert: „Hmm, stehengeblieben. Um 10:59:55. Glück gehabt,
isses fertig? Zeig her.“ Ich zeigte. Er laß. Es siegte das
Defizit an Überraschung. Er fragte: „Gibt es eigentlich etwas,
was Sie nicht auf den letzten Drücker machen?“ Ich antwortete
mit dem ersten was mir in den Sinn kam, also nach kurzer Pause:
„Ja, Bier holen.“
Ich musste mich von ihm abwenden um nicht in Stein verwandelt
zu werden und konnte seinen kalten Atem in meinem Nacken
spüren, ebenso wie die in ihm aufsteigende Wut gepaart mit der
Unfähigkeit ein weiteres Wort über seine Lippen zu bringen
was mir mein bebend schrumpfender Haaransatz am Hinterkopf
mitteilte. Er gab dennoch wortlos grünes Licht, schwang seine
Seidenkrawatten-Flagge und ich brauste los Richtung
IiHaKahahahaha.

An der ersten Ampel sah ich sie sich enttarnen. Finagle's Erben
saßen auf dem Ampeln und steuerten diese. Der Weg war kurz,
doch sie waren viele. Es roch definitiv nach Schwefel und Moder.
Die ganze Verwandschaft hatte sich versammelt und versuchte mir
Felsen, gar Berge in den Weg zu legen. Es wurde finster, ein
Sturm kam auf. Doch ich schaffte es um Punkt 11:55 Uhr den
letzten Parkplatz im Umkreis von 500m einzunehmen. Flugs
sprintete ich über den Hof der IHK, doch der Wind verfing sich
in der Palette und warf mich zweimal zu Boden und einmal in den
Teich (oder was auch immer es sein soll). Selbstverständlich
klemmte die Eingangstür, selbstverständlich war der Aufzug
außer Betrieb und selbstverständlich war keine Menschenseele
am Empfang. Schweiß stand mir auf der Stirn, mein Herz raste,
Gänsehaut, Übelkeit. Wo ist Jakob? (Jakob Schwallheimer war
Mitglied der Prüfungskommision, bei der ich meine Projehehekt-
arbeit abgeben sollte). "WO IST JACK?“ SCHRIE, Verzeihung,
schrie ich, woraufhin sich eine Tür ächzend zu öffnen begann:

- „JOO?“
+ „ICH MUSS MEINE PROJEKTARBEIT ABGEBEN,
FACHINFORMATIKER SYSTEMINTEGRATION.“
- „Warum schreien Sie so?“
+ „HÖREN SIE NICHT DIESEN LÄRM?“
- „Welchen Lärm, ich höre nichts außer dem Wind, der in den
Oberlichtern pfeift.“
+ „HIER IST MEINE PROJEKTARBEIT.“
- „Jou, OK.“

Er schien es nicht wahrzunehmen: Murphy und der Rest von
Finagle's Verwandschaft war außer sich auf sämtlichen Dächern
ringsum das Gebäude der IHK (Im Folgenden IHKG geNANNt). Sie
klatschten und jolten, sie schimpfen und spuckten als ginge es
um eine Wette, bewarfen sich gegenseitig mit brauner Masse –
fast wie Affen, dachte ich als ich das IHKG verließ.
Mir fiel ein Berg vom Felsen, der einmal mein Herz gewesen war.
Ich fühlte mich wie Jack's munitionslose Fregatte.
Ich war Jack's Gefühl der Unwirklichkeit - er war mein Gefühl
für Unwirklichkeit. Erstaunlich, fast schon unheimlich und
mir wurde klar, dass versucht worden war meinen Erfolg, die
Prüfung zu bestehen, zu negieren.

Ich machte mich auf den Weg zum Administratorenbüro. Murphy
und Konsorten verschwanden Stück für Stück je weiter ich mich
vom IHKG entfernte. Ebenso lies auch der Sturm nach und die
Sonne kam mehr und mehr durch.
Angekommen machte ich mich auf den Weg in die Kantine. Ich
stand am Tresen und bestellte das was mir eine Stimme zu-
wisperte: Zwei Wiener Würstchen mit überbackenem Camembert
samt Preiselbeeren und Senf.

Jemand isst Wiener Würstchen im überbackenen
Camembert meiner Erleichterung.


*In meiner Zeit als Schlosser: Johann war 42 und mein Kapo,
er las das Papier mit den vier großen Buchstaben auf der ersten
Seite und erzählte unverdrossen versaute Witze.
Wenn man süße 16, unschuldig, brav und bescheiden ist, kann
das einen werdenen Mann im negativen Sinn prägen.
Außerdem gabs jede Woche Gulasch im Baustellenkiosk :)

Ich bewerte diese Eruption pubertären Enthusiasmus' als
singulären Habitus einer Reaktion auf ein Gustieren eines
Bouquets assoziiert mit Panik, welche durch ein Gravieren
einer Extremität meines Korpus mit einem Winkelschleifer
mit eingespannter Schneidscheibe produziert wurde;
Ich fühlte mich wieder jung als ich gerade eben mein unge-
waschenes, blutverschmiertes, hormongetränktes T-Shirt
"von damals" in meiner verschollenen Tasche von "damals"
fand, die mich immer auf der Arbeit beGLEITET hatte und im
Dach-sogroßen-boden verloren geworden war. Nostalgie pur
*hust* Ich war wieder 16, mit Winkelschleifer und Schnitt
im kleinen Finger.
(Diese Anmerkung hätte ich mir sparen können. (Diese auch.))